Applaus für den Klatschmohn

Das Filigrane, Zarte, das sich in der Natur findet, wird vielfach / einfach übersehen, obwohl ein Bild kaum so detailreich und naturalistisch gemalt werden kann. Auch ein Foto oder Video kann kaum alle Eindrücke für die Sinne so vollumfassend wiedergeben wie der Augenblick im Blumenbeet es kann: die Bewegung, das Tanzen der Blätter & Stängel, die Berührung, die Farben, der Geruch … Alles wäre nur eine Abbildung dessen, was uns die Natur in einer täglich neuen Live-Inszenierung vorführt, wie ein Schauspiel. Auch wenn wir das oft andersherum sehen: Das Medium, die Leinwand (wie der Computer oder das Smartphone) ist tot, die Natur ist lebendig und verändert täglich, stündlich, minütlich, sekündlich ihre Performance. Das Medium verfügt vielleicht über ein »Objektiv« und KI – ist aber nicht das Original, nicht der Ursprung, nicht die Natur.

Die große Angst
Wir himmeln Gegenstände, die Verdinglichung (inklusive Fotos, Filmaufnahmen …) an und möchten sie besitzen. Einerseits vielleicht, weil wir neidisch sind, viel lieber selbst der Schöpfer von soviel Schönheit sein möchten, andererseits die Natur, überall wo wir ihr begegnen, beherrschen wollen. Entweder, weil der Mensch sich omnipotent fühlt oder aus einer archaischen Angst heraus, dass sie uns gefährlich werden könnte. Warum sonst wird an jeder Stelle gemäht, sogenanntes »Pflanzenschutz-« und Unkrautvernichtungsmittel gespritzt, Lebensraum zerstört, werden Pflanzen auf den Balkonen und in den Gärten kultiviert, die für Insekten und Kleinstlebewesen völlig wertlos sind.

Die unglaublichen Fähigkeiten
Der Katschmohn ist voller Geheimnisse. Wildbienen und Schwebfliegen lieben ihn. Jede Blüte produziert Millionen an Pollenkörnern. Nach der Befruchtung der Blüte bildet er eine Kapselfrucht mit winzigen Samen. Der Wind sorgt dann für die Verbreitung und verteilt die Samen aus den trocknen Kapseln bis zu vier Meter weit oder die Kapseln werden von Tieren nochmal weiter transportiert. Ziel ist es, dass die Samen nicht in unmittelbarer Nähe zur Mutterpflanze zu Boden gehen und dort keimen, damit sich die Pflanzen nicht gegenseitig das Licht wegnehmen. Wie klug!

Unsere Liebe zu den Dingen
Und gerade bei den Dingen wurde der Klatschmohn zum Vorreiter. Er wurde zum Vorbild für das erste deutsche Bionik-Patent, die erste hiesige Erfindung, die der Natur nachempfunden ist, und zum Ursprung der deutschen Bionik. Der Botaniker und Mikrobiologe Raoul Heinrich Francé wollte Anfang des 20. Jahrhunderts den Einfluss von Mikroorganismen auf die Fruchtbarkeit der Böden und Bodengesundheit nachweisen. Dafür suchte er eine technische Möglichkeit, um Bodenflächen mit Kleinstlebewesen gleichmäßig zu bestreuen und fand sie … beim Klatschmohn. Genauer gesagt bei der Mohnkapsel mit den kleinen Löchern rundherum. Er war so fasziniert davon, dass er entsprechend diesem Prinzip 1919 ein Gebrauchsmuster für »Streuer für Gewürze, Medikamente u. dgl.« beim Deutschen Patentamt anmeldete. So berühmt ist der Klatschmohn also.

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